Dienstag, 16. Oktober 2012

Steinbrück fordert grundlegende Änderungen in der Finanzwirtschaft


SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat konkrete Pläne, welche Änderungen unter seiner Kanzlerschaft die Finanzbranche zu erwarten hat - ein Überblick.


Versicherungen und Banken haben Peer Steinbrück als gefragten Redner für ihre Veranstaltungen gebucht. Diese Debatte um die Nebeneinkünfte des frisch nominierten Kanzlerkandidaten kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der SPD-Politiker grundlegende Änderungen in der Versicherungs- und Bankenbranche vornehmen will. 

So will er unter seiner Führung, die Finanztransaktionsteuer auf den Weg bringen, eine Bankenabgabe einführen und europaweit einheitliche Regeln für die Abwicklung von Finanzinstituten aufstellen. Die Anzahl der Landesbanken will der Kandidat ebenfalls reduzieren, eine europäische Ratingagentur aus der Taufe heben sowie die Rolle der BaFin, Bundesbank und der EZB stärken. 

Zwei Wochen ist es nun her, dass Peer Steinbrück zum Kanzlerkandidaten der SPD nominiert wurde. Eines kann man ihm nicht vorwerfen: Nämlich, dass er sorglos wie beliebig Wahlgeschenke unters Volk bringt, um so auf Stimmenfang zu gehen - im Gegenteil. 


Das offizielle Wahlprogramm der SPD für die Bundestagswahl 2013, die wohl im Monat Oktober stattfinden wird, hat Steinbrück zwar noch nicht veröffentlicht. In seinen Interviews und Reden gibt er jedoch klare Leitlinien seiner Politik vor. Seine Positionen, die Steinbrück auch in einem Positionspapier sechs Tage vor seiner Nominierung publik gemacht hat, betreffen nachhaltig die Finanz- und Versicherungsbranche.

Mit ihm werde es keinen "langweiligen Wahlkampf" geben, sagte der Ex-Finanzminister gleich nach seiner einstimmigen Nominierung durch den SPD-Vorstand. Regulierung der Finanzmärkte, Euro-Krise, Vergütungsgrenzen - für den Kanzlerkandidaten sei die "ziellose Politik der Bundesregierung einer der Gründe", weshalb er "mit klarer Aussage für ein rot-grünes Regierungsbündnis gegen Merkel ins Rennen" gehe. 

Finanztransaktionsteuer soll Finanzmärkte bändigen

Aus der internationalen Finanzkrise im Jahre 2007 folgernd, fordert Steinbrück "endlich" eine Beteiligung der Finanzmärkte an den Kosten der Rettungspakte. Aus diesem Grunde setzt sich der SPD-Politiker für die "frühzeitig europaweite" Einführung einer Finanztransaktionsteuer ein. Damit würde der Handel beispielsweise mit Anteilen, Anleihen und Derivaten steuerpflichtig werden.

Mithilfe "einer breiten Bemessungsgrundlage und Steuersätzen von 0,1 Prozent für den Handel mit Anteilen und Anleihen beziehungsweise 0,01 Prozent für den Handel mit Derivaten" will Steinbrück die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen sowie "Vorsorgelösungen" für weitere Krisenfälle schaffen. 

Die Finanztransaktionsteuer soll nach den Willen des ehemaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen Devisentransaktionen, den außerhalb Europas stattfindenden Handel mit Wertpapieren, an denen deutsche Emittenten beteiligt sind sowie ausländische Tochtergesellschaften von europäischen Finanzinstituten umfassen. 

"Finanzmarkt soll für die Verluste haften"

"Wer Geld riskant anlegt, um höhere Renditen zu erzielen, muss für die Verluste haften", so Steinbrück. So sollen Banken eine an den Bilanzkennzahlen und der "Systemrelevanz" orientierte "Bankenabgabe" zahlen, mit der ein Bankenfonds aufgebaut werden soll, der notleidende Kreditinstitute unter die Arme greift.

Zuvörderst sollen im Krisenfall jedoch die Eigentümer, also die Aktionäre, für Verluste geradestehen. Erst danach werden laut Steinbrücks Plänen die Gläubiger zur Kasse gebeten. In letzter Stufe kommt dann der erwähnte Bankenfonds. 

Sollte Steinbrück Merkel nächstes Jahr als Kanzlerin ablösen, so wird er die Idee eines europaweit einheitlichen "Abwicklungsregimes" vorantreiben, sich für die Trennung des Geschäfts- und Investmentbanking stark machen sowie den Eigenhandel beschränken. 

"Fallen in einem riskanten Geschäftsbereich hohe Verluste an, bleibt der Schaden auch auf diesen Geschäftsbereich beschränkt", begründet er sein Vorgehen. Ein Übergreifen auf das ganze Unternehmen werde dadurch verhindert. 

Weniger Landesbanken, mehr Regulierung

Auf der Agenda des seit 2007 im Bundestag vertretenen Abgeordneten steht ebenfalls die "Konsolidierung" der Landesbanken, die letztendlich auf eine zahlenmäßige Verkleinerung der von den Bundesländern getragenen Banken abzielt. 

Dagegen will Steinbrück für die Ausdehnung der Regulierung in der Finanzwirtschaft kämpfen. Unternehmen mit "bankähnlichen" Geschäften, dazu zählt der Politiker zum Beispiel Hedge-Fonds, Private-Equity-Fonds und Zweckgesellschaften, will Steinbrück ebenfalls unter Regulierung stellen. 

"Für diese dunklen Ecken der Finanzmärkte gilt es, einen Lichtschalter zu finden", erklärt Steinbrück. Für das "Schattenbankenwesen" müsse in Zukunft der Grundsatz "Gleiche Regulierung bei gleichem Geschäft!" gelten.

Auf eine stärkere Aufsicht drängt Steinbrück auch beim Handel von Wertpapierpensionsgeschäften, beim Handel von außerbörslichen Derivate-Geschäften ("OTC-Handel") und Rohstoffen. Transaktionen mit Kreditderivaten und ungedeckten Leerverkäufen, die ähnlich einer Kreditausfallversicherung funktionieren, möchte Steinbrück gänzlich verboten wissen.

"Europa benötigt eine gemeinnützige Ratingagentur"

Die Ratingagenturen haben nach Meinung des gebürtigen Hamburger eine "unheimliche Macht". Diese müsse zum einen verringert, zum anderen müssten die Ratingagenturen bei einer fehlerhaften Beurteilung haftbar gemacht werden.


"Wir setzen uns", so Steinbrück, "für die Gründung einer europäischen Ratingagentur ein." Diese solle, schwebt den 65-Jährigen vor, "unter Wahrung ihrer Unabhängigkeit als nicht profitorientierte, gemeinnützige Stiftung von öffentlicher Seite finanziell unterstützt werden".  


Grenzen für die Vergütung und den Hausbau


Die mit Basel III einhergehende Umsetzung mit höherem Eigenkapital der Finanzinstitute befürwortet Steinbrück ebenso wie feste Obergrenzen für die Beleihung von Immobilien. Demnach sollen Versicherungen und Banken keine Vollfinanzierung in Höhe von 100 Prozent des Beleihungswertes mehr vergeben dürfen. 


Häuslebauer müssen dann mindestens 20 Prozent Eigenkapital vorweisen. In "Boomphasen" solle aufsichtsrechtlich festgelegt werden können, dass das maximale Limit für die Beleihung von Immobilien auf 60 Prozent reduziert werden könne. "Damit es auch bei der Geldanlage bleibt und es nicht zu einer kreditfinanzierten Immobilienphase kommt", erläutert Steinbrück.


Auch die Diskussion um "Gehaltsexzesse" im oberen Management der Finanzwirtschaft greift Steinbrück auf und will diese durch "risikoadäquate Vergütungsstrukturen" bekämpft wissen.


"Die variable Vergütung darf das Festgehalt nicht übersteigen", fordert der Aspirant. Die Vergütung müsse "für alle Top-Verdiener einer Bank" offengelegt werden, nicht nur für die Mitglieder im Vorstand.


Stärkere Rolle der BaFin, Bundesbank und der EZB


Die Kompetenzen der Europäischen Zentralbank (EZB) will Steinbrück erweitern, indem er sie zu einer europäischen Bankenaufsichtsbehörde ausweitet - ein Frontalangriff auf die derzeitige Europäische Bankenaufsichtsbehörde European Banking Authority


Eine stärkere Rolle soll den Vorstellungen Steinbrücks zufolge auch der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sowie der Deutschen Bundesbank zukommen. Beide Behörden müssten einen tieferen, "regelmäßigeren, fachlichen Austausch" pflegen.


Durch die engere Verzahnung von BaFin und Bundesbank sollen die beiden Behörden auch die Auszahlung von Dividenden und Boni begrenzen, eine Aufstockung von Eigenkapital vorschreiben und "zweifelhafte Geschäftsstrategien" in der Versicherungs- und Bankenbranche verbieten dürfen.


Wer bestimmt den Lauf der Wirtschaft?


Für den Kanzlerkandidaten in spe stehe seit Beginn der internationalen Finanzmarktkrise eine unbeantwortete Frage im Raum: "Wer bestimmt den Lauf von Wirtschaft und Gesellschaft?" Mit der "Rückgewinnung der politischen Gestaltungskraft" will er das im Zuge der Krise verloren gegangene Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen.


"Das Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit von Politik" sei die "Voraussetzung für die Stabilität und Funktionsfähigkeit einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung, von der nicht zuletzt alle Unternehmen der Finanzwirtschaft" abhängig seien.


Weitere Eckpunkte sind die Erhöhung der Einkommen- und Abgeltungsteuer sowie die Einführung der Vermögensteuer. Kann man mit einem solchen Programm Kanzler werden?


Für Christian Siedenbiedel, Wirtschaftsredakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, steckt hinter den Plänen "das Kalkül: wenig Betroffene, kaum Stimmverluste." Glaubt man aktuellen Umfragen, scheint dieses Kalkül bislang tatsächlich aufzugehen: Die SPD erreicht mit Steinbrück neue Spitzenwerte


Summary in English: The new chancellor candidate of the party SPD Mr Peer Steinbrück would like to modify a lot of rules in the financial sector. This article gives a brief overview of the plans of the politician. (ucy)