Dienstag, 26. November 2013

„Es geht nicht ohne Transparenz“

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar plädiert in einem Interview mit der Wochenzeitung Das Parlament dafür, die Neufassung der EU-Datenschutzverordnung noch in dieser Legislaturperiode des Europäischen Parlaments abzuschließen. Nachfolgend lesen Sie einen Auszug aus dem Interview - mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der Wochenzeitung Das Parlament.




Datenschutz wird oft eine Blockadehaltung zugewiesen. Wie definieren Sie Datenschutz für das 21. Jahrhundert?

Mein Wunsch ist, dass man die wirtschaftliche Chance erkennt, die ein guter Datenschutz bietet. Die Zertifizierung von datenschutzkonformen Diensten, auch von IT-Sicherheit, wird in Zukunft eine immer größere Rolle spielen und die deutsche Wirtschaft ist da ziemlich gut aufgestellt. Denken Sie an sichere Cloud- oder Email-Dienste, die auch weltweit Beachtung finden könnten. Da ist tatsächlich eine Win-Win-Situation gegeben, nur wurde sie noch nicht von allen erkannt.

Zur Demokratie gehört die Freiheit der Bürger. Aber kann man noch von Freiheit reden, wenn man nicht sicher sein kann, dass man unbeobachtet kommunizieren kann?

Nein. Es besteht ein Anpassungsdruck, gerade wenn man sich bewusst wird, dass man auf Schritt und Tritt Datenspuren hinterlässt. Wir sind zunehmend mit Geschäftsmodellen konfrontiert, bei denen das Verhalten immer detaillierter erfasst wird. So wollen zum Beispiel die Krankenversicherungen möglichst risikoarme Mitglieder haben und versuchen, risikobehaftete Mitglieder loszuwerden oder erst gar nicht aufzunehmen. Oder denken Sie an die individualisierte Medizin, wo in Zukunft bestimmte Medikamente möglicherweise nur noch gegeben werden, wenn man sich einem Gentest unterzieht. Hier befürchte ich eine zunehmende, auf der Datenauswertung basierende Kontingentierung in einem essentiellen Lebensbereich. Datenschutzverstöße sind nicht länger opferlos, zunehmend gibt es ganz reale Schäden und Nachteile für den Einzelnen.

Was halten Sie von der Forderung nach einem digitalen Grundrechteschutz?

Ich halte das für absolut gerechtfertigt. Wir müssen die Grundrechte in das Informationszeitalter transformieren. Dazu gehört das informationelle Selbstbestimmungsrecht oder auch das sogenannte Computergrundrecht. Wichtig ist auch das berühmte Recht auf Vergessenwerden, das auf europäischer Ebene kontrovers diskutiert wird.

Glauben Sie, dass die Verhandlungen über eine Neufassung der EU-Datenschutzverordnung auf Grund der NSA-Affäre schneller vorankommen werden?

Ich hoffe es und rate dringend, noch in dieser Legislaturperiode des Europäischen Parlaments die Datenschutzreform abzuschließen. Die ersten drei Monate des kommenden Jahres werden darüber entscheiden, ob dieses Reformpaket gelingt. Wenn es in dieser Legislaturperiode nichts wird, dann bin ich sehr skeptisch, ob man das nach den Europawahlen einfach wieder aufsetzt. Das muss vorher in trockene Tücher kommen.

Letztendlich wird es ein Kompromisspapier werden. Welche Punkte dürften dabei auf keinen Fall unter den Tisch fallen?

Zentral ist für mich erstens das Marktortprinzip, das heißt, dass auch Anbieter mit Sitz in Drittstaaten an europäisches Recht gebunden sind, wenn sie in der EU ihre Geschäfte machen. Zweitens müssen wir zu einem gemeinsamen Rechtsrahmen in Europa kommen. Drittens brauchen wir eine Stärkung der Datenschutzaufsichtsbehörden. Ich habe in meinem Amt ja keine direkten Sanktionsmöglichkeiten. Insofern ist schon mit einem gewissen Recht von einem zahnlosen Tiger gesprochen worden. Viertens brauchen wir eine frühzeitige Verankerung des technischen Datenschutzes bereits bei der Entwicklung von Systemen und nicht erst in der Prüfungsphase durch die Aufsichtsbehörden.

Viele Bürger gehen sehr freigiebig mit ihren Daten um. Was hat sich verändert, im Vergleich zu der Empörung über die Volkszählung vor 30 Jahren?

Es gibt so etwas wie einen Gewöhnungseffekt. Wenn überall Videokameras hängen, regen sich immer weniger Menschen darüber auf oder freuen sich vielleicht sogar darüber, dass bestimmte Bereiche überwacht werden. Aber der Gewöhnungseffekt darf nicht dazu führen, dass wir die Überwachung auf Schritt und Tritt akzeptiert. Zudem werden bei Facebook und anderen Web 2.0-Anwendungen auch hinter dem Rücken der Nutzer viele Daten erhoben. Das kann der Einzelne oftmals gar nicht beeinflussen und deshalb brauchen wir klare gesetzliche Vorgaben. Es wäre zu kurz gesprungen, hier einfach alles an die Betroffenen zu delegieren.

Sie haben kürzlich die Anbindung des Bundesdatenschutzbeauftragten an das Bundesinnenministerium kritisiert. Was wäre die Alternative?

Europarechtlich ist heute schon festgeschrieben, dass die Datenschutzbehörden in völliger Unabhängigkeit handeln müssen. Das lässt sich mit einer Dienstaufsicht durch einen Minister und einer Rechtsaufsicht durch die Bundesregierung nicht vereinbaren. Ein Alternative könnte sein, dass man die Position des Datenschutzbeauftragten aufwertet, ihn quasi zu einer obersten Bundesbehörde macht. Die andere Möglichkeit wäre, dass man ihn stärker an das Parlament bindet.

Und was ist mit den Kompetenzen?

Die Datenschutzbehörden brauchen mehr Sanktionsmöglichkeiten - sonst werden sie zum Papiertiger. Wir haben da gerade auf Bundesebene ein großes Defizit, das jedem, der sich mit der Materie beschäftigt, klar ist.

Was erwarten Sie von den derzeit laufenden Koalitionsverhandlungen?

Ich würde mich natürlich freuen, wenn dort klare Aussagen zu einem verbesserten Datenschutz enthalten wären. Zum Beispiel im Hinblick auf die europäische Datenschutzreform, den Beschäftigtendatenschutz und die Stellung des Bundesdatenschutzbeauftragten. Aber unabhängig davon, was im Koalitionsvertrag stehen wird, bin ich mir sicher: Diesen Themen wird niemand ausweichen können.